Über Angst

Über Angst

"Angst ist ein schlechter Ratgeber." ist einer der vielen, ewig gültigen Wahrheiten.

Wir haben Angst vor Zurückweisung. Angst vor peinlicher Stille. Angst davor, beurteilt und verurteilt zu werden. Wir haben sogar Angst, das Richtige zu tun und zu sagen, weil es polarisieren könnte.

Wir haben Angst, eine Haltung zu zeigen, eine klare Position einzunehmen, einen Standpunkt offen zu vertreten. Wir haben Angst vor Konsequenzen und davor, konsequent bleiben zu müssen.

Auf der anderen Seite bewundern wir all jene, die diese Ängste überwinden und ihre Komfortzone verlassen. Die etwas sagen, die etwas ändern, die etwas tun, was nicht eine sorgfältig untersuchte Zielgruppe bedient oder auf eine gerade hippe Mode aufspringt.

Es ist egal ob ein Mensch oder eine Firma das tut: Wir erkennen Überzeugung an. Wir honorieren echte Werte, wir applaudieren Persönlichkeit und diejenigen, die die "Extrameile" gehen, werden immer herausstechen. Sie werden immer viel mehr Vertrauen genießen und Loyalität erfahren als alle, die sich bedeckt halten, nicht anecken wollen, dem Kunden nach dem Mund reden, keine Haltung zeigen sondern nur ein Image.

Angst ist, die Latte auf "Best Practice" zu hängen

Sicher ist es für Unternehmen richtig, zu schauen, was andere tun. Ich habe unzählige Benchmarkstudien erstellt, die die Frage beantworten sollten, "wo stehe ich im Vergleich zu meinen Mitbewerbern?". Was man hier erwartet sind Antworten auf Fragen wie "Wie schnell muss man auf Beschwerden reagieren?" oder "Wie verbreitet ist meine Marke?" (sprich: Wie viele Likes und Follower haben die anderen?). Vielleicht noch "Wie zufrieden sind Kunden mit den Aktivitäten und Kampagnen in sozialen Medien?" und "Wie hoch ist der Anteil an Werbemaßnahmen, Service und originärem Content?". Die Frage nach Conversion kommt zwar auch gerne mal, aber die kann man nicht beantworten, denn darum geht es in Social Media nie. Tut mir Leid. Aber so ist es nun mal.

Dabei sind das in einer Umgebung, in der vor allem Konversation betrieben wird, Meinungen und Ansichten und Informationen ausgetauscht, ergänzt, widersprochen und über die zuweilen leidenschaftlich gestritten wird, die unwichtigsten Zahlen. Ich beantworte diese Fragen meisten in den ersten beiden Folien - just to get over it.

Der Rest der Studie konzentriert sich darauf, wie kommuniziert wird. Hier schrecke ich nicht davor zurück, sehr wertend zu sein und zu sagen, wie die Kommunikation beim Nutzer ankommt. Meistens nämlich nicht gut: unpersönlich, distanziert, oberflächlich und ganz oft eben ängstlich.

Erraten Sie, welcher Teil der Präsentation am Ende zu Entscheidungen führt? Richtig, der erste.

Die Frage, wie sich Unternehmen in Social Media präsentieren sollten, beantworten Social Media Agenturen leider sehr oft damit, aufzuzeigen, wo die anderen sehr gut sind (also wo viele Likes, Shares und positive Kommentare hinterlassen werden) und erzeugen so einen zu erreichenden Benchmark, der eine bunte Sammlung verschiedener "Best Practices" ist, aus denen dann die neue "Social Media Strategie" zusammengekleistert wird.

Das Ergebnis ist bekannt: Alle einigermaßen aktiven Unternehmen posten täglich irgendwelche mehr oder weniger oberflächliche Info- und Unterhaltungshäppchen, die irgendwie halbwegs die Produktthemen abbildet. Montags den Tip der Woche, Dienstag das Produktfeature des Tages, Mittwoch ist der Werbepost, Donnerstags irgendwas mit Zukunft und Freitags das lustige Bild zum Wochenende mit dem Hashtag #tgif.

Dazu brauch ich keinen Benchmark. Best Practice hat nämlich den Vorteil, dass man kaum etwas falsch machen und immer ein paar schöne Zahlen präsentieren kann, aber man macht auch nicht wirklich viel mehr richtig als die Minimalerwartung seiner Zielgruppen zu erfüllen. Und da ist die Latte so niedrig, dass ich die mit einem one-size-fits-all Konzept abdecken kann.

To boldly go... lieber nicht zu weit.

Aber ist das nicht ein trauriges Ziel? Im Vergleich zur Konkurrenz etwas besser darin zu sein, Minimalerwartungen zu erfüllen?

Wenn man sich die Produktphilosophie der führenden Firmen einer Branche anschaut bemerkt man schnell, dass da eigentlich viel mehr dahintersteckt, als die Erfüllung von Mindesterwartungen. Da findet man schnell Emotionen und Werte, die überhaupt nichts mit dem Umsatz zu tun haben, den diese Produkte erwirtschaften. Man spürt und teilt Stolz und Leidenschaft und erkennt Kunst und sogar eine Kultur, eine Haltung, die diese Produkte ausmachen und definieren.

Davon sieht man nichts auf den sozialen Netzwerken, in denen diese Unternehmen unterwegs sind. Natürlich wird dort durchaus herumproklamiert. Aber das ist Werbung. Ein Bildchen, auf dem steht, "Wir zeigen Haltung!" ist wertlos in einer Umgebung, in der man gleichzeitig gar keine erkennbare Haltung zeigt. Also ganz praktisch vorlebt und darüber diskutiert, wie man denkt und fühlt. Ich bin doch schon in dem Raum, in dem ich meine Haltung tatsächlich beweisen kann, ich bin nicht an der Bushaltestelle and der ich nur eine Plakatwand habe, mit der man nicht reden kann! Auch wenn die Menschen das nicht bewusst in Worte fassen, aber sie merken doch, wenn Imageaussagen, Werbung und PR-Sprüche nicht mit dem tatsächlichen, direkten Erleben des selben Unternehmens zusammenpassen.

Ich habe wenig Hoffnung, dass sich das ändert. Zu groß ist die Angst, etwas anders zu machen als alle anderen. Zu leicht ist es, das Risiko gegenüber seinen Vorgesetzen zu minimieren, indem man monatlich die üblichen Standardzahlen vorlegen kann, die netterweise immer wachsen, so lange man sich an die "Best Practice"-Latte hält.

Ich warte aber weiter auf den Tag, an dem ich auf das Unternehmen treffe, das sagt "Das sind meine Werte. Das ist meine Aussage. Die sind mir so wichtig, dass ich sie hinaus in die Welt tragen will. Können Sie mir dabei helfen, damit in den Dialog mit den Menschen zu kommen?"

Und das nicht einfach doch wieder nur das mit den Fähnchen machen will.

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