Praxisbasics: Live-Streaming

Praxisbasics: Live-Streaming

Ich coache ja Menschen und Firmen darin, ihre Kommunikation strategisch zu planen und umzusetzen. Das ist sehr individuell, aber natürlich gibt es auch grundsätzliche Themen, über die sich diese Menschen und Firmen Gedanken machen sollten. Daher starte ich hier mal eine kleine Serie mit Praxisbasics" für unterschiedliche digitale Kanäle und Kommunikationsformen.

Beginnen möchte ich mit Streaming: Pandemiebedingt werden viele Veranstaltungen, Lesungen, Vorträge und Panels auf Streaming verlegt und so gibt es seit ein paar Monaten einen echten Boom auf Twitch, Facebook und Instagram live, Discord und vielen anderen Kanälen. Um da mal diplomatisch mit meinen Beobachtungen zu sein: Die Fallhöhe wird dabei enorm unterschätzt. Es ist allerdings zum Glück auch so, dass eine Menge Probleme relativ einfach vermieden werden können, wenn man sich vorab ein paar Gedanken macht. Dafür gebe ich euch nun ein paar Anregungen und Hilfestellungen:

Das Ambiente

Stellt Euch die Frage, wie euer Programm dem Thema angemessen wirken und aussehen soll: Leger, professionell, humorvoll, gemütlich, ernsthaft usw… Die Antwort auf diese Frage bestimmt Setdesign, wie und wo man sitzt/steht, Kleiderauswahl und Kameraposition.

Kleidung

Eine Kamera verstärkt das Offensichtliche und versteckt das Subtile. Das heißt: Leger gemeinte Schlabberkleidung wirkt nicht gemütlich, sondern nachlässig.

Ernsthaft gemeintes Businessoutfit wirkt nicht professionell, sondern steif.

Am neutralsten ist daher “ordentliche” Alltagskleidung. Hilfreich ist auch, sich einen oder zwei Sätze Kleidung passend zusammenzustellen, die man immer für die Aufnahmen nutzt. Das sorgt für Konsistenz, nicht nur bei Zuschauer:innen sondern auch bei einem selbst, weil man sich keine Gedanken mehr machen muss, wie man aussieht oder rüberkommt. Oder ganz kurz gefasst: Auch im Stream sollte man sich so anziehen, als säße man auf einer Bühne.

Möblierung

Je ernsthafter ein Thema ist, desto “gerader” sollte man sitzen. Das kann man durch die richtige Wahl des Sessels oder der Stühle unterstützen.

Tische sind immer etwas schwierig. Wenn sie direkt vor einem stehen, wirken Tische als Barriere. Dennoch können Tische einen Zweck erfüllen. Wenn man sich US-Talkshows ansieht, kann man das gut erkennen: Hier sorgt der Tisch dafür, dass der Host (hinter dem Tisch) sich vor dem Gast (ohne Tisch) gegenüber dem Publikum zurücknimmt und ihm die Bühne und die Aufmerksamkeit überlässt.

Wenn man mit Material arbeitet, ist ein Tisch natürlich auch sinnvoll, dann sollte er aber nicht gerade zwischen euch und dem Publikum stehen, sondern etwas versetzt oder neben euch, so dass die Blicklinie auf euch als Person nicht komplett unterbrochen wird.

Kameraposition

Grundsätzlich ist Augenhöhe immer richtig, in Totalen sollte die Kamera etwa so hoch stehen wie ein Mensch, der in den Raum schaut. Bei DIY Sendungen gilt “je näher, desto besser”. Bei Nahaufnahmen sollte die Kamera auf der Höhe des Gesichts der Person im Bild sein - also etwas niedriger, falls sie sitzt.

Licht

Hier gibt es drei einfache Faustregeln:
1. Je heller, desto lebhafter wird das Bild. Je dunkler, desto “gemütlicher” wird es.
2. Ordentlich "ambient" - also gleichmäßig - ausleuchten ist enorm wichtig. Je mehr indirektes Licht ihr erzeugen könnt, desto besser.
3. Lampen direkt ins Gesicht zu richten solltet ihr vermeiden. Das erzeugt unschöne Schatten und Glanzlichter im Gesicht und irritiert euch auch selbst. Profis können damit umgehen, aber für Laien kann das wirklich zum Stressfaktor werden.

Die Körperhaltung

Hier geht es darum, wie Menschen vor der Kamera rüberkommen. Man kennt das vielleicht: Wenn man sich mal selbst filmt, wundert man sich sehr, wie arg sich die Eigenwahrnehmung während der Aufnahme von dem unterscheidet, was man hinterher sieht. Das liegt nicht nur daran, dass man sich selbst selten beobachten kann oder man sich vor allem als Spiegelbild kennt, sondern auch an der Technik. Daher gilt es hier, bewusst auf diese Technik Rücksicht zu nehmen, denn die lässt sich eher nicht so leicht verändern.

Schultern zurück

Auch hier gilt: Eine Kamera verstärkt das Offensichtliche und versteckt das Subtile. Das heißt, wenn man locker und entspannt rüberkommen will und sich dafür in einen Sessel fläzt, wirkt das schnell gelangweilt statt entspannt - und Langeweile überträgt sich auf den Zuschauer.

Daher sollte man immer eine gewisse Körperspannung halten. Allein, wenn man es schafft, die Schultern nicht nach vorne fallen zu lassen, sondern sie immer gerade zu halten - was eine gewisse Schwierigkeit sein kann, wenn man dabei immer noch entspannt sein möchte und das nicht gewohnt ist - ist viel gewonnen. Im Stehen übt man das, indem man die Hände hinter dem Rücken ineinander legt (Siehe Star Trek) - so wie dann die Schultern liegen, steht man automatisch “richtig”, obwohl man entspannt ist.

Aktives sitzen

Man kann auch durchaus leger und entspannt sitzen, allerdings sollte man die Position häufiger wechseln, als wenn man zuhause mit Freunden auf dem Sofa sitzt. In Aufnahmesituationen macht man zusätzlich gerne den Fehler, länger als üblich die Position nicht zu verändern und in eine Positionsstarre zu verfallen. Regelmäßig die Pobacke wechseln, die Beine umschlagen, die Oberkörperhaltung mal nach vorne und mal nach hinten verändern hilft sofort.

Wichtig ist auch, dass man Reaktionen deutlich zeigt: Also Erstaunen, Fragen, Amüsement, Nachdenken… man kann all das durch Körperhaltung zeigen, ohne dass man das verbalisieren muss. Faustregel ist: Der Zuschauer weiß nicht, was in Deinem Kopf vorgeht, also “spiel’s aus”.

Das nennt sich “Aktives Sitzen”: Zuhören kann man zB zeigen, indem man mit dem Oberkörper nach vorne geht, beim Sprechen kann man ruhig mit den Händen Gesten machen. Das macht man im Stehen immer, aber im Sitzen weniger - kann man aber üben, das vom Stehen ins Sitzen zu übernehmen.

Was man vermeiden sollte ist, sich ins Gesicht zu fassen (Kinn und Ohren geht schon mal, Mund und Nase möglichst nie). Falls man ein Mikrofon am Körper trägt, ist ein möglichst großer Bereich drumherum Sperrgebiet für die Hände.

Gemütlich, aber aktiv Sitzen kann man sich prima beim Talkshowhost Graham Norton abschauen, der macht das perfekt.

Das Sprechen

Es gibt ein paar grundsätzliche Punkte. Wenn man die beachtet, hat man 80% aller typischen Probleme nicht:

  1. Bewusst langsam und deutlich sprechen.
    Es passiert sehr oft, dass man vor der Aufnahme mit jemandem spricht und alles ist super. Sobald die Aufnahme läuft, spricht die Person plötzlich viel schneller und verhaspelt sich dadurch auch öfter. Das kann man dadurch verhindern, indem man bewusst deutlich spricht. Das natürlich nicht übertreiben: man erreicht das schon dadurch, indem man darauf achtet, Vokale sauber auszusprechen. An den Konsonanten muss man nichts tun, das wirkt schnell affektiert.
  2. Sätze bzw Absätze beenden.
    Was oft passiert ist, dass ein Satz zwar beendet wird, aber man nicht mit der Stimme herunter geht sondern sie hebt wie bei einer Frage. Man kann das schnell wegüben, indem man irgendwas laut vorliest und bewusst jeden Satz richtig beendet. Dann schleift sich das ein.
  3. Pausen sind gut.
    Ein Grund für die beiden vorigen Probleme (zu schnell/zu viel reden und Sätze offen halten) ist, dass man glaubt, dass man das Gespräch “am Laufen halten” muss. Es ist aber in Wirklichkeit völlig unproblematisch, wenn es Pausen gibt. Vor allem wenn es ja auch Bild gibt wie in Streams, wird der Zuschauer ja sehen, das gerade niemand etwas sagt.
    Man muss auch nicht schnell anfangen, zu sprechen, sobald man “dran” ist oder eine Pause entsteht: Hier kann man zB auch erst mal seine Sitzposition wechseln, etwas trinken oder zeigen, dass man nachdenkt (siehe “Aktives Sitzen”).
  4. Offene Fragen sind besser als geschlossene Fragen.
    Bemüht Euch, offene Fragen zu stellen: “Was denkst Du über…?”, “Wie erlebst Du…?”, “Erzähl doch mal, wie Du… angehst.”
    Geschlossene Fragen sind Fragen, die der Interviewpartner mit “Ja” oder “Nein” beantworten kann oder bei denen Du die Antworten vorgibst, zB bei entweder/oder-Fragen.
  5. Immer noch mal auf das Gesagte reagieren.
    Schlechte Interviews erkennt man immer daran, dass einfach die nächste Frage gestellt wird, egal was der Interviewgegenüber gerade gesagt hat. Am Einfachsten ist, das Gesagte noch mal kurz zu wiederholen, eleganter sind Anschlussfragen. Das sollte man auch dann tun, wenn man das Thema wechseln will - dann kann man auch mal eine geschlossene Frage stellen (“Du meinst also, dass die wichtigste Eigenschaft von Talkshowhosts ist, ihren Gästen Raum zu verschaffen, richtig?”), so dass die Antwort knapp ausfallen kann und man dann mit einem “Alles klar, dann würde ich gern das Thema wechseln. Wie sieht es denn mit… aus?” überleiten.
    Die 2 Minuten für die Rückmeldung, dass man den anderen gehört hat sollte man sich immer nehmen.

Soweit erst mal zu den Basics beim Streamen. Natürlich gilt wie immer: Nicht alles was ich schreibe, passt zu allen Formaten, Situationen oder Menschen. Es gilt weiterhin, sich ein Konzept zu machen, das passgenau ist und sich gut auf das Vorzubereiten, was vermittelt werden soll.