Digitale Marktschreier

Digitale Marktschreier

Auf Jahrmärkten gab es immer diese Menschen, die mit Mikrofon und Lautsprecher hinter kleinen Tischchen standen und sehr aufgeregt ihre extrem nützlichen Wunderwaren anpriesen: Den Fleckenentferner, der alles aus der Kleidung bekommt, was normalerweise nicht mehr sauber wird. Eine Autopolitur, die die Karosserie vor jeglicher (sehr unwahrscheinlichen) Witterung beschützt, besonders einmalige Messersets oder das coolste Spielzeug "direkt aus den USA", mit dem Du der absolute Trendsetter sein wirst... und so weiter. You get the picture.

Jetzt ist es so, das diese Dinge natürlich grundsätzlich funktioniert haben: Die Messer haben geschnitten, die Politur hat poliert und der Fleckenentferner hat Flecken entfernt. Aber irgendwann haben wir begriffen, dass nichts davon wirklich die weltverändernde Erfindung war, als die sie angepriesen wurde:

Der Fleckenentferner war eigentlich auch nur billige Gallseife, die Politur eine ganz normale Politur und die Messer waren halt am Ende nur Messer. Und das "Besondere" an all diesen Dingen war, dass sie überhaupt nichts besonderes gemacht haben. Sie haben sogar nicht einmal so gut funktioniert, wie wirklich gute Messer, Polituren oder Fleckentferner.

Sprich: Diese Leute verkauften billig produzierte Waren für wesentlich mehr Geld, als sie wert waren. Das haben wir irgendwann begriffen und wir können seitdem über den Jahrmarkt gehen und diese Leute ganz hervorragend ignorieren.

Leere Versprechen

Der Trick, etwas anzubieten, das uns verspricht, ein Problem, das eigentlich viel Arbeit und Aufwand bedeutet, viel schneller zu lösen, als rational gedacht überhaupt möglich ist, funktioniert wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten.

Dass dasselbe inzwischen auch auf Social Media Plattformen passiert, ist daher wenig verwunderlich. Der Unterschied ist nur, dass dort nicht Gegenstände angepriesen werden, sondern "Coachings" und das Versprechen ist, dass man in nur wenigen Tagen Superinfluencer:in mit Millionen Followern wird, die Onlineverkäufe vertausendfachen kann oder seine Marke im Nu weltweit bekannt macht. Natürlich neben dem Vorteil, dass man keine Jahre dafür braucht, erreicht man das natürlich auch zum Bruchteil der Kosten: Man kauft nur dieses eBook oder belegt ein Webinar (was sich dann meist als vorgefertigtes Youtube-Video entpuppt) und los geht's.

Ich finde allerdings gar nicht so schlimm, dass es diese Leute gibt, die sowas verhökern und dass immer wieder Menschen drauf reinfallen. Denn letztere verstehen dann meistens schon irgendwann, dass es doch keine Abkürzung dafür gibt, sich eine ordentliche digitale Reputation aufzubauen, seine Produkte zu vermarkten oder eine Marke zu etablieren. Man spart sich so viele Erklärungen darüber, warum man es nicht "einfach so macht, wie die anderen coolen Marken". Denn man macht es ja eigentlich so, wie die coolen Marken. Man macht es nur nicht so, wie die Marktschreier behaupten, dass die coolen Marken es täten.

Und was die persönlichen Coaches aus dieser Ecke angeht: wenn man irgendwann mal merkt, dass man jemandem sein Geld nur dafür gibt, von diesem Menschen eine Stunde lang Anekdoten darüber erzählt zu bekommen, wie geil er ist und mit wem er schon alles was gemacht hat, hat man zwar wirklich viel weniger Geld gezahlt als für einen richtigen Coach, dafür aber halt auch gar nichts gelernt. Außer, dass man vor lauter eingebildeter Geschäftstüchtigkeit am Ende mehr Geld ausgegeben hat als wenn man gleich zu seriösen Coaches gegangen wäre.

Zum Glück ist es auch relativ einfach, die Fehler wegzuräumen, die man damit macht: die Facebook-Seite, die nur 3000 Fake-Accounts erreicht oder der Instagram-Account, auf den nur andere Luftnummern-Profile reagieren, die nichts kaufen, sondern nur ihren Kram anpreisen oder der Twitter-, Tiktok- oder Sonstwas-Kanal ohne jede Reichweite und Relevanz ist ja schnell gelöscht und beim nächsten Anlauf Mal macht mans dann eben ordentlich und mit der nötigen Zeit und Sorgfalt.

Die andere Coaching Falle: Verzweifelt erfolgreich

Es gibt auch noch eine weitere Variante des Marktschreier-Marketings. Auch die gibt es schon lange - das sind letztendlich die üblichen Pyramiden-Modelle, der neueste euphemistische Begriff dafür ist "Network-Marketing". Dazu gibt es jede Menge Literatur, ich möchte vor allem über eine auffällige Art von Erfolgs-Coaching Programmen reden, die derzeit die sozialen Medien mit ihrer Werbung fluten oder vermehrt beginnen, im Bekanntenkreis aufzutauchen.

Bei denen lernt man letztlich sehr banale und oberflächliche Psychologie-Tricks, um sich z.B. zu motivieren oder "erfolgreich" zu fühlen. Das sind auch immer dieselben Tricks, aber sie kommen in unterschiedlichen, sehr engen und detailliert geschnittenen Geschmacksrichtungen: mal ist das alles sehr spirituell und öko/alternativ, mal knallhart und business-macho und immer geht es darum, endlich das Geld, den Ruhm und den generellen Reichtum zu bekommen, der eine:m eigentlich zusteht - wichtig ist aber eben, dass sich da eine jeweils sehr homogene Zielgruppe erkennt, denn der wird dann vorgetäuscht, dass diese ultrageheime und hypereffektive "Technik" den Erfolg der für die jeweils angesprochene Milieu wichtigen Vorbilder ausmache.

Tut es natürlich nicht, aber wer auf Elon Musk steht, glaubt eben gerne, dass er zum nächsten Elon Musk werden kann, wenn er nur die richtige Einstellung hat (und nicht z.B. ein Milliardenerbe, das er gewinnbringend investieren kann).

Das System funktioniert dann so: Du wirst Teil einer "exklusiven" Community und gibst am Anfang wenig, aber mit der Zeit dann doch immer mehr Geld für "Coaching"-Sessions aus, die natürlich wenig coachen und viel appellieren. Die "Techniken" die man lernt sind die, die man auch in Ratgeberbüchern für 5 Euro nachlesen kann. Die funktionieren auch leidlich - zwar nicht dafür, der nächste Elon Musk zu werden, aber eine Übung, um sich zu mehr Sport zu motivieren, kann schon dafür sorgen, dass man etwas mehr Sport macht - insoweit ist das das unwichtigste an der ganzen Geschichte.

Was drumherum passiert, ist viel wichtiger - und gefährlicher, denn das sorgt für am Ende für das Gegenteil dessen, was man eigentlich erreichen will:

So gibt es meistens eine Form von Stufensystem, in dem man nach und nach aufsteigt. Jede Stufe ist dabei ungleich teurer zu erkaufen als die vorige. Allerdings bekommt man dabei zertifiziert, um selbst Coachings der erreichten Stufe zu verkaufen und durchzuführen zu können, also investiert man nicht nur in den eigenen Erfolg, sondern verdient sogar direkt Geld damit. Super, oder?

Der zweite Faktor ist die "Community". Hier kommen neben dem einfachen und relativ harmlosen Psychotricks, die man beigebracht bekommt, auch gar nicht so harmlose Techniken zur Anwendung, die eine Community zu einem Kult machen: Es gibt eine eigene Sprache mit eigenen Begriffen und Formulierungen, es gibt sich wiederholende Glaubenssätze, es gibt Immunisierungsrethorik ("lasst euch nicht von den Erfolglosen einreden, dass ihr auch erfolglos sein müsst") und es gibt die für Kulte ganz typischen Abgrenzungs- und Isolationseffekte ("Trenne Dich von Menschen, die dich nur ausbremsen, auch wenn es Deine Familie ist. Du hast jetzt eine neue Familie, die dich wertschätzt und deinen Erfolg will.").

Das sorgt dafür, dass die Menschen, die in solche Systeme hineingeraten, nur sehr schwer wieder herauskommen - das passiert bestenfalls, sobald alle Ersparnisse draufgegangen sind oder man merkt, dass da inzwischen wirklich sehr viel Zeit vergangen ist, ohne dass sich der Erfolg eingestellt hat, der ja als quasi instantan und automatisch versprochen wurde. Schlechtestenfalls beginnt man, sich komplett zu verschulden und seine Inkompetenz immer verzweifelter vor sich selbst zu rechtfertigen.

Der Pfad in die Inkompetenz ist aber im System eingebaut: Wie schon erwähnt, funktioniert das ganze als Pyramidensystem. Das heißt, dass es immer mehr Menschen geben muss, die "unten" in der noch billigen Ebene einsteigen und gewillt sind, denen ihr Geld zu geben, die sich jeweils eine Stufe weiter hochgekauft haben, um sich selbst ebenfalls hochzukaufen. Da das natürlich nicht funktioniert, führt das zwangsläufig zu einer immer prekäreren Situation der daran Teilnehmenden und dem Zwang, immer weiter zu machen, um die jeweils immer teureren Stufen zu erreichen und die Kosten dafür wieder hereinzuholen zu können.

Wenn man jemanden kennt, die oder der in einem solchen System hängt, beobachtet man, wie die geradezu überschwängliche Euphorie nach und nach immer verzweifelter und gezwungener wird, denn natürlich steht das Versprechen auf "Fülle" im Widerspruch zum tatsächlichen immer schwieriger werdenden Alltag.

So funktionieren diese Systeme und dass man damit am Ende immer drauflegt und nie verdient, ist auch lang genug bekannt.

Leider ist auch bekannt, dass trotzdem immer wieder genug Menschen auf diese Masche reinfallen.

Die Abkürzung ist ein Umweg

Natürlich will ich mit der Erklärung dieser beiden Social Media Trends etwas sagen und das ist weder geheim noch exklusiv, nämlich:

Es ist völlig legitim, sich Reichweiten zu beschaffen, erfolgreich sein zu wollen und Geld verdienen zu wollen ist auch nicht verwerflich.

Es gibt nur leider keine Abkürzung, wenn es darum geht, für sich oder seine Produkte eine gute Kommunikation und eine stabile Plattform aufzubauen.

Wenn jemand verspricht, dass Du ohne Arbeit und Aufwand dasselbe erreichen kannst, wie die, die Arbeit und Aufwand reinstecken, ist das, was Du damit tatsächlich erreichen wirst, nicht dasselbe.