Moderiert gefälligst eure Kommentare!
Eigentlich hatte man sich beim Thema Moderation von Kommentaren schon ein mal in den goldenen Blogzeiten (die Jahre bevor die Social Media Plattformen die Hoheit über die alltägliche Konversation übernommen haben) darauf geeinigt: "Mein Haus, meine Regeln." Aber offenbar muss man Social Media Managern - oder denen, die ihnen die Regeln vorgeben - noch mal erklären, was Moderation ist und was passiert, wenn man den Dingen freien Lauf lässt..
Die Tradition des Hyperlativs
Schon vor gut 15 Jahren schauten wir uns verwundert die Foren und Kommentarspalten von heise, SPON, Welt und anderen Medien an, die dort nahezu jede Beschimpfung, jedes off topic Thema, jedes Gezeter und jeden blanken Unsinn einfach stehen ließen. Denn - das lernten wir damals mit unseren Blogs sehr schnell - wozu sonst kann das führen, als dazu, dass über kurz oder lang eine normale, zivilisierte Konversation unmöglich sein wird?
Denn was passiert immer dann, wenn sich unter jedem Artikel und jedem Facebookpost zeternde und schimpfende Kommentatoren die Sandkastenförmchen um die Ohren hauen? Entweder macht man (noch eine Weile) mit oder man verlässt den Spielplatz sofort und kommt nie wieder. Die Alternative, eine differenzierte Diskussion zu führen, ist ja nicht möglich und wenn man es versucht, bekommt man über kurz oder lang die Förmchen beider krakeelnder Parteien an den Kopf geworfen, denn in polarisierten Denkwelten kann jemand, der nicht die eine Meinung teilt, ja nur der Meinung des Gegenpols sein.
Nahezu jede Medien- und Nachrichtenseite hat somit über Jahre ihre Erfahrung damit gemacht, was passiert, wenn man hier nicht eingreift: Die sich prügelnden Spinner übernehmen jede Diskussion.
Erstaunlicherweise ändert sich trotz dieser klaren Erkenntnis nichts - abgesehen davon, dass Kommentarfunktionen zuweilen ganz abgeschaltet werden - und alle vernünftigen Menschen sind sich inzwischen einig: "Du kannst die Artikel lesen, aber schau auf keinen Fall in die Kommentare!"
Ihr wisst doch, wie aktive Moderation funktioniert!
Früher gab es immer die Leserbriefseiten in Zeitungen und Zeitschriften. Was man dort gemacht hat, sofern man als Medium mit entsprechendem journalistischem Ethos Ernst genommen werden wollte, war folgendes: Man sichtete die Eingänge und versuchte, das Meinungsbild zu einem Thema durch eine Auswahl abzubilden, die die verschiedenen Ansichten anschaulich machte. Man versuchte dabei, möglichst unterschiedliche Reaktionen zu finden, um die Bandbreite der Lesermeinungen abzubilden. Wenn es Beschimpfungen gab, hat man auch durchaus auch dazu einen repräsentativen Brief mit in die Auswahl genommen. Oft veröffentlichte man auch mal Einsendungen, die auf einen Leserbrief der vorhergehenden Ausgabe einging, wenn es das Thema weiterführte oder sinnvoll ergänzte.
Die Kommentarfunktionen auf Webseiten und in Social Media Kanälen haben diese extrem kuratierte Art der Veröffentlichung von Leserreaktionen in das andere Extrem verwandelt: Nun wird häufig wirklich alles sofort veröffentlicht, was von Publikumsseite kommt und nicht komplett offensichtlich strafbar ist. Es ist dabei aber egal, wie redundant, wie offensichtlich falsch informiert, wie vorurteilsbesetzt oder wie stark im Affekt die Reaktion erfolgt und das führt dazu, dass die Kommentare aussehen wie sie aussehen: Man findet zigmal dieselben Beschimpfungen, offenen Hass und Wut, Dummheit und Vorurteile und irgendwo dazwischen vielleicht noch eine vernünftige Wortmeldung von jemandem, der sich tatsächlich ein paar konsistente Gedanken gemacht hat.
Jetzt der Punkt, den Medien offenbar nicht wissen: Niemand kommt auf die Idee, hunderte von quasi Spam-Kommentaren durchzulesen, um diesen einen Kommentar zu finden, der halbwegs sachlich auf das Thema reagiert.
Warum tut ihr nichts?
Warum verzichten Medien plötzlich darauf, ihre Seiten und Social Media Kanäle so zu moderieren, dass ein ausgewogenes Meinungsbild gezeigt wird? Etwas, was sie Jahrzehnte getan haben lassen sie bleiben, nur weils jetzt Internet ist? Das verstehe ich nicht. Ein Artikel oder Post ist nicht erfolgreich, wenn er 350 Kommentare hat, aber 345 davon ein einziges Hauen und Stechen ist.
Das, was am Internet anders ist als in Zeitungen ist zum einen, dass alles schneller passiert und zum anderen, dass die Platzbegrenzung wegfällt und man somit mehr Reaktionen anzeigen kann als vorher. Aber es entbindet doch eine Redaktion nicht von der Aufgabe, sich darum zu bemühen, auf ihrer eigenen Plattform ihre journalistischen Grundsätze zu bewahren und zu bestimmen, was sie auf ihrer eigenen Plattform im Netz für beachtenswert hält und was nicht - so wie sie es zuvor auf der eigenen Plattform Papierzeitung getan hat.
Auch im Internet ist für die Publikation eines journalistischen Mediums weiterhin der Herausgeber und die Redaktion dafür verantwortlich, was dort passiert und was dort veröffentlicht wird. Beim Community Management scheint man da aber irgendwie zu glauben, dass man da ja nichts machen kann, wenn sich die Kommentarspalte in eine Jauchegrube verwandelt.
Doch, kann man: Man kann moderieren! Man muss nur mal anfangen! Löscht den sinnlosen Wut-Spam, schmeißt alles was off topic und Derailing ist raus, besteht auf sachliche Formulierungen, entscheidet euch bei Extrempositionen für ein repräsentatives Beispiel und löscht die Dubletten. Macht euch diese Arbeit, so wie ihr euch früher auch eure Leserbriefe durchlesen und die abtippen musstet, die ihr in die Ausgabe bringen wolltet. Der einzige Unterschied ist, dass ihr mehr freigeben könnt, wenn mehr Reaktionen ankommen (sofern es euren Standards genügt).
Natürlich müsst ihr den Menschen klar und deutlich sagen, was ihr tut und wie ihr vorgeht, aber es muss doch immer gelten: Eure Plattform, eure Regeln!
ZENSUR1!!!11!!
"IHR HABT KOMMENTARE GELÖSCHT! DAS IST ZENSUR!", schreien die Schreihälse gerne, wenn man seine Seite von Spam und Blödsinn frei hält.
Erstens: Nein, das ist natürlich keine Zensur. Zensur ist immer eine staatliche Maßnahme zur Informationskontrolle. Zensiert werden also gegebenfalls Medien. Allerdings nicht in Deutschland (siehe Grundgesetz Artikel 5). Aber Medien zensieren nicht, nur weil sie selbst entscheiden, was auf ihrer Webseite passiert. Jedem Medium steht es frei, was es veröffentlicht und was nicht. Das gilt selbstverständlich auch für Kommentare von LeserInnen.
"Aber ihr schränkt meine Meinungsfreiheit ein!", kommt als nächstes. Auch das ist Unsinn: Kein Mensch käme auf die Idee, einen Anspruch darauf zu haben, seine Meinung in einer bestimmten Zeitung veröffentlichen lassen zu können. Warum sollte der also für eine Webseite bestehen, die von einem Medienverlag betrieben wird? Natürlich wird man da heute erst mal anecken wenn man plötzlich beginnt, sich wieder genau auszusuchen, wessen Einlassungen man auf seinen eigenen Seiten zulässt, da hat man mit der Veröffentlichungspolitik in der Vergangenheit selbst für diese falsche Anspruchshaltung gesorgt.
Aber man sollte sich vielleicht einfach mal die Frage stellen, ob man am Ende nicht besser da steht, wenn man dafür sorgt, dass sich sachliche und vernünftige KommentatorInnen auf der Seite wohl fühlen, weil sie nicht damit rechnen müssen, sich gegen jeden Unsinn wehren zu müssen oder von irgendwelchen Hassbazillen beschimpft zu werden?
Und wenn man Diskussionen wieder folgen kann, weil deren Kultur durch eine ordentliche Moderation auf dem Niveau gehalten wird, das man sich für seine Seite wünscht, kommen auch die Kommentare zurück, die man eigentlich gerne haben will.