Don't campagnize conversation

Don't campagnize conversation

Social Media ist ein Kommunikationsdings. Menschen reden miteinander, in allen Ausprägungen, mit denen direkte Kommunikation möglich ist: Es gibt Liebesbezeugungen, freundliche Dialoge, Flirts, Ankumpeleien, Missionierungsversuche, Kritikäußerungen, Beschimpfungen, Trollerei, Morddrohungen. Das Spektrum des "miteinander redens" ist riesig. Man sollte also meinen, dass es in dieser Palette auch für Firmen genügend Möglichkeiten gibt, sich an der Konversation zu beteiligen.

Aber nein, wir wollen ja eine "Kampagne".

Spätestens seit #aufschrei ist auch in Deutschland die "Hashtagkampagne" ein beliebtes wie nahezu grundsätzlich zum Scheitern verurteiltes Instrument aus der nie versiegenden Quelle blöder Marketingideen geworden. Die Formel lautet:

  1. Wir entwickeln (ja, ich weiß. Aber sie benutzen wirklich dieses Wort) einen Hashtag.
  2. Wir sagen den Nutzern, was sie posten sollen und den Hashtag nicht vergessen.
  3. Die Nutzer werden die Idee dankbar und mit Freude aufgreifen und posten Inhalte, die uns cool aussehen lassen.
  4. The internet does its wonderful magic.

Nicht ein mal die erste Hälfte der Annahme "Die Nutzer werden die Idee aufgreifen und posten Inhalte, die uns cool aussehen lassen." stimmt. Die meisten dieser Kampagnen verhungern einfach, weil die Nutzer besseres zu tun haben, als sich für Werbung vor den Karren spannen zu lassen. Und die Auftraggeber können froh darüber sein, denn natürlich kommt es manchmal schon vor, dass die Idee aufgegriffen wird. Nur eben nicht so, wie man sich das am Reißbrett ausgedacht hat.

Beispiel #cosbymeme

Ich verdeutliche letzteres mal an der Kampagne von/für Bill Cosby, die aktuell gefloppt ist. Hier war die Idee, Bill Cosby als Meme zu etablieren. Was natürlich für sich gesehen schon eine dumme Idee ist, aber über die korrekte Nutzung von Memen vielleicht später mal.

Wie weltfremd Agenturen denken, zeigt dieses Bild. So stellte man offenbar dem Kunden das Ergebnis dieser Kampagne vor:

Cosby Marketingbla

Was stattdessen passierte ist folgendes:

On Twitter and in other forums where people don't have memories that are five seconds long, people had no problem reminding Cosby that there is nothing funny or "memeable" about someone who has been accused of rape by multiple women.

und jede Menge Memebilder, die eher in diese Richtung gingen:
Cosby real

Beispiel #emmaistfuermich

Ein weiteres aktuelles Beispiel, das allerdings wesentlich schlimmer hätte ausgehen können, ist die EMMA-Kampagne, mit der man - nehme ich an - sich in den Sozialen Medien etwas mehr Verbreitung erhoffte. Schlimmer deswegen, weil dieser Hashtag geradezu prädestiniert dafür erscheint, von Maskulisten und Sexisten gehijacked und getrollt zu werden. Das passierte aber nicht. Stattdessen nutzten es vor allem die netzaffinen Feministinnen, um der EMMA die Deutungshoheit über ein paar aktuelle feministische Themen abzusprechen.

Auch in den Medien gab es wenig Häme, sondern eher verwunderte Kritik. Wirklich Glück gehabt, könnte man sagen.

Und ich dachte: Jetzt könnte man ja angesichts dessen, dass die Kampagne nicht völlig verbrannt ist sondern ihre Zielgruppe zumindest erreichte und die lediglich ihren Diskussionsbedarf angemeldet hat tatsächlich das tun, wozu Social Media gut geeignet ist, nämlich in den Dialog gehen. Leider hat man genau diese Chance nicht genutzt sondern - ohne allzu viel Not - die übliche beleidigte Standard-"Schadensbegrenzungs"-PR betrieben und so ist klar: Es ging nie um Konversation. Es war schlicht und einfach eine Werbekampagne. Sehr Schade.

Beispiel #McDStories (und jede Menge andere)

Letztlich ist das Problem immer dasselbe: Firmen möchten im sozialen Netz werben. Da sind die Menschen, da soll gefälligst die Werbung hin. Hashtag-Kampagnen scheinen genau das zu bieten. Tun sie aber nicht, denn das soziale Internet funktioniert genau so wie jeder andere Ort, an dem sich Menschen gerade über etwas unterhalten, was sie interessiert. Kein Werber käme auf die Idee, in eine Konversation zu platzen und mit einem Megaphon herumzubrüllen "HEY! UNTERHALTET EUCH AB JETZT MAL ÜBER UNSER TOLLES PRODUKT! UND MIT UNTERHALTEN MEINEN WIR ERZÄHLT ALLEN WIE TOLL ES IST!".

Ich kann Firmen, die sowas beauftragen, nur sagen: Seid froh, wenn die Leute euch einfach ignorieren und nicht wirklich beginnen, sich über euch zu unterhalten.


Was hat McDonalds denn geglaubt, was die Menschen schreiben? Ernsthaft?

Wenn eine Company wirklich glaubt, eine solche Kampagne zur Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung launchen zu müssen, sollte sie wissen, wie es um ihre öffentliche Wahrnehmung tatsächlich bestellt ist. Nur dann, wirklich nur dann, wenn die gut ist, kann so eine Kampagne überhaupt funktionieren. Aber dann brauche ich sie auch nicht mehr und kann mein Marketingbudget sinnvoller ausgeben.

Es gibt jede Menge mehr Beispiele:

#stolzdrauf, eine wirklich dumme Idee aus Österreich, im Internet mit dem Thema Nationalstolz punkten zu wollen.

#myNYPD, eine Imagekampagne für die New Yorker Polizei, ausgerechnet nach den "Occupy"-Protesten.

#DeineFreiheit, von Nestlé, einem Konzern, der im Netz so ziemlich den schlechtesten Ruf hat, den man haben kann, ohne Waffen herzustellen. Was dachten die denn, was diese Menschen posten?

#fastergraph war eine Aktion von PUMA. Die führte eigentlich nur zu harmlosen Späßen, aber selbst das war PUMA schon zu viel und sie stoppten die Kampagne so schnell, wie sie sie gestartet hatten.

Mehr? Einfach nach "Hashtag Kampagne geht nach hinten los" googlen. Das Netz ist voll davon.

Aber... aber... aber es gibt doch erfolgreiche Hashtag-Kampagnen!

Hashtag-Kampagnen sind - wenn sie Verbreitung finden - sogenannte Signal Boosts. Das heißt, sie transportieren und bündeln Themen, die vielen Menschen so wichtig sind, dass sie sich darüber austauschen und sie verbreiten wollen. Das können politische, soziale oder kulturelle Themen sein. Sie haben - im Gegensatz zu Marketing-Themen - eine wichtige, um nicht zu sagen die für den Boost ausschlaggebende Eigenschaft: Relevanz.

Und sie sind relativ ergebnisoffen bzw. erlauben eine offene Konversation. Wer nicht reden will, hat im sozialen Netz nichts zu suchen. Bleibt weg und spart euch das Geld. Oder setzt es sinnvoll ein: Lernt, mit euren Kunden zu reden.

Die Erkenntnisse daraus sind zehn mal mehr Wert als eine mit Sicherheit vergeigte Werbe-Kampagne.

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