Warum Filterblasen gut für uns sind

Katze chillt auf Schrank

Man kritisiert ja immer wieder, dass Soziale Medien uns erlauben, uns in Filterblasen zurückzuziehen, also unliebsame Themen und Meinungen aus unserem digitalen Netzwerk herauszufiltern und uns in einer "Echokammer" einzurichten, in der wir nur noch unsere eigenen Ansichten bestätigen lassen.

Das allerdings ist eigentlich kein Problem, sondern eine gute und wichtige soziale Fertigkeit.

Denn was uns die Digitalisierung beschert hat ist eine Transparenz, die wir früher nicht hatten: Wir bekommen plötzlich mit, wie Leute denken und sich äußern, die politisch auf radikalen Positionen stehen. Wir kriegen mit, wie viele Menschen welche - in unseren Augen völlig abwegigen - Thesen vertreten, an totalen Unsinn glauben und mit welcher Vehemenz für uns selbstverständliche Werte von anderen gehasst und verachtet oder was wir als Verirrungen und Vorurteile ablehnen von anderen geliebt oder verehrt wird.

Früher hatten wir, sorry für die Warner vor der Echokammer, wesentlich dichtere Filterblasen. Eigentlich haben wir die auch heute noch, außerhalb des Digitalen. Niemand käme auf die Idee, in eine Kneipe zu gehen, in der die Fans der gegnerischen Fussballmannschaft ihren Stammtisch haben und denen zu erklären, dass sie den falschen Verein bewundern. Kein Mensch kommt auf die Idee, auf einer Party Musik zu spielen, die nicht zu den Gästen passt (und dann zu sagen, man müsse sich doch auch die anhören, um ein toleranter Mensch sein zu können). Wenn ich ein Familienfest mache, lade ich nicht meine Arbeitskollegen ein. Ich habe Freunde, von denen ich weiß, dass sie sich nie verstehen würden, also treffe ich mich nie mit beiden gleichzeitig. Wenn ich beruflichen Smalltalk führe, rede ich im Normalfall nicht über Politik oder Religion.

Und: Wir gehen Menschen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen, aus dem Weg. Bewusst und - bedingt durch Sozialisation, Kompetenzen, Wohnort, besuchte Schulen Studien- oder Ausbildungsplätze - zu einem erheblichen Teil unbewusst. Wir geben uns nicht freiwillig mit Menschen ab, die wir verachten und wir suchen aktiv die Nähe zu denen, die wir bewundern oder mit denen wir uns verbunden fühlen.

Das Praktizieren dieser sozialen Konventionen schützt uns vor Stress und hilft uns, konstruktiv zu sein. Es immunisiert uns und macht "unsere" Welt überschaubar, vertraut und vermittelt uns ein Gefühl der Sicherheit. Es macht uns andererseits natürlich auch ignorant und hilft uns nicht, unsere Wahrnehmung zu korrigieren (zum Beispiel wenn es um Privilegien geht), Fehler zu entdecken und Vorurteile abzubauen.

Aber: Was viele Menschen momentan in der digitalen Welt (und hier ist diese noch sehr getrennt von der echten Welt) erleben ist eine Kakophonie an Unterschieden, die sie vorher nie in dieser Menge und Wucht wahrgenommen haben. Sie werden konfrontiert mit tausenden sich zum Teil in unvereinbarer Absolutheit widersprechenden Ansprüchen, Weltbildern, Lebenseinstellungen und Wertekatalogen. Ihnen werden von allen Seiten Forderungen gestellt, die nie zufriedenstellend erfüllt werden können, weil zum Beispiel Informationen ungleich verteilt sind und die nötige Bildung und Sozialisation fehlt. Und selbst wenn man einige erfüllen kann, wird man dann von denen kritisiert, die die gegenteiligen Forderungen stellen.

Daher muss man auch in der digitalen Welt lernen, sich zu distanzieren, Filter zu setzen, Abstände einzubauen und sich abzugrenzen. Das ist erst mal nichts schlimmes, das haben wir schon immer so gemacht, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Wenn ich allen zuhören muss, höre ich vor lauter Lärm gar nichts mehr. Wenn ich mich verständlich machen will, muss ich Wege finden, nicht erst mal schreien zu müssen, um das ganze Rauschen zu übertönen (weshalb ich nicht in unmoderierte Medienforen kommentiere).

In dieser Phase befinden wir uns gerade und ich gehe davon aus, dass wir immer noch lernen müssen, den Mittelweg aus Ignoranz und Offenheit zu finden, der uns dieselbe Sicherheit im Leben erlaubt, wie wir sie früher ohne digitale Kanäle erreichen konnten.

Solange wir das nicht tun, verwenden wir nämlich stattdessen wesentlich gefährlichere soziale Techniken, um die Lautstärke und Komplexität zu verringern, und zwar Polarisierung und Frontenbildung. Wenn uns alles zu viel wird, knallen wir Türen und schlagen um uns. Und vieles, was ich in Sozialen Medien lese ist Türen knallen und um sich schlagen. Sobald aber polarisiert wird, entsteht Unvereinbarkeit und die stoppt jede Veränderung, weil Kompromisse unmöglich sind.